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Digital Citizenship, Digital Wilds und Lehren & Lernen von Sprachen  

Mit dem Aufkommen des Internets war bei vielen Expert*innen die Hoffnung verbunden, den Sprachunterricht zur "realen Welt" hin zu öffnen, die Grenzen der vier Wände des Klassenraums zu überwinden und einen neuen, höheren Grad an Authentizität zu erreichen, (Rüschoff, 1997; Warschauer, 1996); eine Vorstellung, die mitunter als illusorisch für das Lehren und Lernen von Sprachen galt.

Trotz dieser Hoffnung auf eine Öffnung hin zur "realen Welt" jenseits des Klassenraums und auf authentische Kommunikation mit realen Personen lag der Fokus in der Praxis und Forschung zunächst hauptsächlich auf der Umsetzung und Analyse von Tele-Tandem- und Online-Kollaborationsprojekten, die den Kontakt zwischen Lernenden trotz räumlicher Distanz ermöglichen (Belz, 2003; O'Dowd, 2018). Damit wurde zwar der Umfang des Klassenraums erweitert, nicht aber der damit verbundene sozio-interaktionale Rahmen, da die Interaktionen durchaus vergleichbar mit entsprechenden Face-to-face-Interaktionen innerhalb des Klassenraums blieben (Lamy & Zourou, 2013, S. 3).

Erst seit den letzten Jahren ist ein stärkeres Interesse an einer tatsächlichen Öffnung hin zur realen Welt und dem Lernen in den sogenannten digital wilds (Sauro & Zourou, 2019), dem Lernen "beyond the classroom" (Benson & Reinders, 2011; Comas-Quinn et al., 2019) oder auch dem "extramural English" (Sundqvist & Sylvén, 2016) zu beobachten. Während sich die Forschung zunächst auf die Analyse der Praktiken von Englischlernenden auf partizipativen Fanfiction- und Online-Spiele-Websites konzentrierte (Black, 2008; de Freitas, 2006; Kramsch et al., 2000; Sauro, 2017; Thorne et al, 2009; Vazquez-Calvo et al., 2019), beschäftigt sie sich nun im Sinne eines "Rewilding" (Thorne et al., 2021) auch mit der Übertragung dieser Praktiken und ihrer Integration in das Lehren und Lernen von Sprachen. 

In diesem Zusammenhang befassen sich Arbeiten etwa mit der didaktischen Nutzung von Fanfiction-Praktiken im Rahmen des Sprachunterrichts (Brunel, 2021; Petitjean & Brunel, 2018; Sauro & Sundmark, 2016; Sauro & Thorne, 2020; Thorne et al., 2015).

Andere Arbeiten, die den Bestrebungen in den 1990er Jahren näher stehen, konzentrieren sich auf partizipative Projekte und Aufgaben, die von Lernenden online auf frei zugänglichen Websites durchgeführt werden können. Diese Aufgaben, die wir in den Projekten Babelweb, Lingu@num und e-lang / e-lang citizen (Caws et al., 2021; Ollivier & Project e-lang, 2018) als "real-world tasks" bezeichnet haben, ermöglichen den Lernenden authentische soziale (Online-)Interaktionen, die über den Rahmen institutioneller Bildung hinausgehen. Diese Aufgaben haben sich mittlerweile in verschiedenen Disziplinen etabliert (Lammers et al., 2012; Magnifico et al., 2018), darunter auch in der Sprachdidaktik.

In der Literatur zu diesem Thema wird auf die zahlreichen Vorteile dieser Art von Aufgaben hingewiesen. Sie ermöglichen es den Lernenden, die Zielsprachen in natürlichen Kontexten zu verwenden (Pasfield-Neofitou, 2011; Vazquez-Calvo et al., 2019), sie helfen ihnen dabei, eine spezifische Identität in der verwendeten Sprache aufzubauen (Hannibal Jensen, 2019; Shafirova & Cassany, 2019) und von ihrer Rolle als Lernende hin zu einer Rolle als Nutzer*innen oder sogar als Expert*innen für die behandelten Themen zu gelangen (Sundqvist, 2019). Die Aufgaben bringen die Lernenden dazu, Sprache auf sinnvolle und authentische Art und Weise zu verwenden, wobei das primäre Ziel die Kommunikation und nicht das Erlernen der Sprache ist (Hannibal Jensen, 2019; Ollivier, 2010), und sie führen zu unterschiedliche Arten von Lernprozessen.

Real-world tasks führen auch zur Entwicklung komplexer literacies, die – je nach Aufgabe – kreative oder künstlerische Dimensionen (Black, 2009), Mehrsprachigkeits- und Sozialisierungskompetenzen (Lam & Rosario-Ramos, 2009) sowie digitale Kompetenzen (Bigot et al., 2021; Hannibal Jensen, 2019; Ollivier & Project e-lang, 2018) umfassen.

Seit kurzem wird die digital literacy oft durch eine weitere Dimension, nämlich digital citizenship, ergänzt (Frau-Meigs et al., 2017). Die Teilnahme an partizipativen Online-Websites und -projekten, aber auch ganz allgemein die Kommunikation über digitale Medien erfordert in der Tat spezifische Fertigkeiten, Kenntnisse, Kompetenzen, Einstellungen sowie ein entsprechendes Bewusstsein, das dem Bereich der citizenship zuzuordnen ist. Nutzer*innen von Sprache und Technologie müssen bei ihren Handlungen und Interaktionen die Rechte und Pflichten berücksichtigen, die mit den Werten der jeweiligen Community in Einklang stehen (Ollivier et al., 2021). In den letzten Jahren wurden mehrere internationale Projekte initiiert, die eine Verbindung zwischen digital citizenship education und Sprachunterricht herstellen, darunter DICE.lang, PENSA, e-lang citizen und Lingu@num.

Manche kritische Stimmen verweisen auf Spannungen, die durch die Teilnahme an Online-Websites und -Communitys in formellen Ausbildungskontexten hervorgerufen werden. Magnifico et al. (2018) weisen darauf hin, dass die Werte der Gemeinschaften, in denen die Lernenden kommunizieren sollen, nicht unbedingt mit denen der Lernenden selbst übereinstimmen, und dass diese Art der Teilnahme zu einer starken Exposition führen kann, die ein Gefühl der Verletzlichkeit hervorruft. Godwin-Jones (2015) berichtet von Lehrpersonen, die aufgrund von "unforeseeable and unstructured" Nutzungsarten verunsichert sind, die auf offenen Plattformen stattfinden und die nicht mit den Gepflogenheiten der Institution übereinstimmen. Sockett und Toffoli (Sockett, 2012; Toffoli & Sockett, 2010) verweisen ebenfalls auf mögliche Vorbehalte der Lernenden aufgrund des sozio-interaktionalen Kontexts. Führen Lernende Aktivitäten nur durch, um den Erwartungen der Lehrenden zu entsprechen, wird der Mehrwert authentischer Interaktionen jenseits der Lehrenden-Lernenden-Beziehung zunichte gemacht.

Die Tagung soll den wissenschaftlichen Austausch über die Frage ermöglichen, wie das Lehren und Lernen von Sprachen mit den "digital wilds" verbunden werden kann. Erörtert werden sollen der Mehrwert, aber auch die Grenzen von real-world tasks,insbesondere – aber nicht ausschließlich – in Bezug auf den Sprachunterricht, die Entwicklung von literacies und/oder digital citizenship, Identität und Motivation.

Call for Papers

Das Tagungskommitee begrüßt Beiträge zum formalen, nonformalen und informellen Sprachenlernen, unabhängig vom Status der behandelten Sprache (Erstsprache, Zweitsprache, Schulsprache, Fremdsprache, Regionalsprache, etc.). Ebenfalls willkommen sind Einreichungen zu partizipativen Online-Praktiken, die Einblicke in das Lehren und Lernen von Sprachen bieten.

Die Beiträge können – unter anderem – auf folgende Aspekte Bezug nehmen:

  • Lernen durch partizipative Online-Aktivitäten

  • Lernen in den "digital wilds" 

  • Online-Spiele

  • didaktische Umsetzung von partizipativen Online-Praktiken

  • real-world tasks

  • digital citizenship education und Sprachunterricht

  • Förderung digitaler Kompetenzen und Lehren & Lernen von Sprachen

  • Citizen Science und Lehren & Lernen von Sprachen 

Die Beiträge können folgender Art sein:  

  • datengestützte Forschung 

  • theoretische Überlegungen

  • Erfahrungsberichte

Einreichung der Beiträge

Die Beiträge sind bis spätestens 17. Juni über die Seite "Dépôt/Submission/Einreichen" einzureichen.

Die Beiträge sollen den/die Name/n der Autor*innen, ihre institutionelle Zugehörigkeit, den Vortragstitel sowie eine Zusammenfassung von 500 Wörtern mit maximal 5 Referenzen enthalten. 

Die Beiträge können auf Deutsch, Englisch und Französisch eingereicht werden. Die Sprache der Einreichung ist gleichzeitig die Sprache, in der der Vortrag gehalten wird (20 Minuten Präsentation + 10 Minuten Diskussion). 

Die Einreichungen werden vom wissenschaftlichen Beirat im Doppelblindverfahren begutachtet.

Bibliographische Angaben

Belz, J. A. (2003). From the special issue editor. Language Learning and Technology, 7(2), 2‑5. http://llt.msu.edu/vol7num2/pdf/speced.pdf 

Benson, P., & Reinders, H. (Éds.). (2011). Beyond the language classroom. Palgrave Macmillan.

Bigot, V., Ollivier, C., Soubrié, T., & Noûs, C. (2021). Littératie numérique, penser une éducation langagière ouverte sur le monde. Lidil. Revue de linguistique et de didactique des langues, 63. https://journals.openedition.org/lidil/8568 

Black, R. W. (2008). Adolescents and online fan fiction. Peter Lang.

Black, R. W. (2009). Online fan fiction, global identities, and imagination. Research in the Teaching of English, 43(4), 397‑425.

Brunel, M. (2021). Littératies numériques adolescentes et perspectives d’enseignement : Le cas de la fanfiction. Lidil. Revue de linguistique et de didactique des langues, 63, Article 63. https://doi.org/10.4000/lidil.9189 

Caws, C., Hamel, M.-J., Jeanneau, C., & Ollivier, C. (2021). Formation en langues et littératie numérique en contextes ouverts – Une approche socio-interactionnelle. Editions des archives contemporaines. https://www.archivescontemporaines.com/books/9782813003911 

Comas-Quinn, A., Beaven, A., & Sawhill, B. (Éds.). (2019). New case studies of openness in and beyond the language classroom. Research-publishing.net.

de Freitas, S. (2006). Learning in immersive worlds : A review of game-based learning. http://www.jisc.ac.uk/whatwedo/programmes/elearninginnovation/outcomes/gamingreport.aspx 

Frau-Meigs, D., O’Neill, B., Soriani, A., & Tomé, V. (2017). Digital citizenship education. Overview and new perspectives. Council of Europe Publishing; https://rm.coe.int/prems-187117-gbr-2511-digital-citizenship-literature-review-8432-web-1/168077bc6a

Godwin-Jones, R. (2015). Contributing, creating, curating : Digital literacies for language learners. Language Learning and Technology, 19(3), 8‑20. https://www.lltjournal.org/item/2913 

Hannibal Jensen, S. (2019). Language learning in the wild : A young user perspective. Language Learning and Technology, 23(1), 72‑86.

Kramsch, C., A’Ness, F., & Lam, W. S. E. (2000). Authenticity and authorship in the computer-mediated acquisition of L2 literacy. Language Learning and Technology, 4(2), 78‑104. http://www.lltjournal.org/item/2330 

Lam, W. S. E., & Rosario-Ramos, E. (2009). Multilingual literacies in transnational digitally mediated contexts : An exploratory study of immigrant teens in the United States. Language and Education, 23(2), 171‑190.

Lammers, J. C., Curwood, J. S., & Magnifico, A. M. (2012). Toward an affinity space methodology : Considerations for literacy research. English Teaching: Practice and Critique, 11(2), 44‑58. https://eric.ed.gov/?id=EJ973940 

Lamy, M.-N., & Zourou, K. (2013). Introduction. In M.-N. Lamy & K. Zourou (Éds.), Social networking for language education (p. 1‑7). Palgrave Macmillan.

Magnifico, A. M., Lammers, J. C., & Fields, D. A. (2018). Affinity spaces, literacies and classrooms : Tensions and opportunities. Literacy, 52(3), 145‑152. https://doi.org/10.1111/lit.12133 

O’Dowd, R. (2018). From telecollaboration to virtual exchange : State-of-the-art and the role of UNICollaboration in moving forward. Journal of Virtual Exchange, 1. https://doi.org/10.14705/rpnet.2018.jve 

Ollivier, C. (2010). Ecriture collaborative en ligne : Une approche interactionnelle de la production écrite pour des apprenants acteurs sociaux et motivés. Revue Française de Linguistique Appliquée, 15(2), 121‑137. https://www.cairn.info/revue-francaise-de-linguistique-appliquee-2010-2-page-121.htm 

Ollivier, C., Jeanneau, C., Hamel, M.-J., & Caws, C. (2021). Citoyenneté numérique et didactique des langues, quels points de contacts ? Lidil. Revue de linguistique et de didactique des langues, 63. https://doi.org/10.4000/lidil.9204 

Ollivier, C., & Projet e-lang. (2018). Littératie numérique et approche socio-interactionnelle pour l’enseignement-apprentissage des langues. Editions du Conseil de l’Europe; https://www.ecml.at/Portals/1/5MTP/Ollivier/e-lang%20FR.pdf

Pasfield-Neofitou, S. (2011). Online domains of language use : Second language learners’ experiences of virtual community and foreignness. Language Learning and Technology, 15(2), 92‑108. http://www.lltjournal.org/item/2739 

Petitjean, A.-M., & Brunel, M. (2018). Quand les enseignants se risquent à la culture numérique : Quel enseignement de l’écriture littéraire ? Le français aujourd’hui, 200, 11‑18. https://www.cairn.info/revue-le-francais-aujourd-hui-2018-1-page-11.htm 

Rüschoff, B. (1997). Neue Medien als Mittel der Förderung authentischer Lerninhalte und Aufgabenstellungen im Fremdsprachenunterricht. In F.-J. Meißner (Éd.), Interaktiver Fremdsprachenunterricht : Wege zu authentischer Kommunikation. Festschrift für Ludger Schiffler zum 60. Geburtstag (p. 107‑117). Gunter Narr.

Sauro, S. (2017). Online Fan Practices and CALL. CALICO Journal, 34(2). https://doi.org/10.1558/cj.33077 

Sauro, S., & Sundmark, B. (2016). Report from Middle-Earth : Fan fiction tasks in the EFL classroom. ELT Journal, 70(4), 414‑423. https://doi.org/10.1093/elt/ccv075 

Sauro, S., & Thorne, S. L. (2020). Pedagogically mediating engagement in the wild. In V. Werner & F. Tegge (Éds.), Pop Culture in Language Education : Theory, Research, Practice (p. 228‑239). Routledge.

Sauro, S., & Zourou, K. (2019). What are the digital wilds? Language Learning and Technology, 23(1), 1‑7. https://doi.org/10125/44666 

Shafirova, L., & Cassany, D. (2019). Bronies learning English in the digital wild. Language Learning and Technology, 23(1), 127‑144.

Sockett, G. (2012). Le web social – La complexité au service de l’apprentissage informel de l’anglais. Alsic. Apprentissage des Langues et Systèmes d’Information et de Communication. Spécial Epal 2011, 15(2). https://doi.org/10.4000/alsic.2505 

Sundqvist, P. (2019). Commercial-off-the-shelf games in the digital wild and L2 learner vocabulary. Language Learning and Technology, 23(1), 87‑113. https://www.lltjournal.org/item/3098 

Sundqvist, P., & Sylvén, L. K. (2016). Extramural English in teaching and learning : From theory and research to practice. Palgrave Macmillan.

Thorne, S. L., Black, R. W., & Sykes, J. M. (2009). Second language use, socialization, and learning in internet interest communities and online gaming. Modern Language Journal, 93(SUPPL. 1), 802‑821.

Thorne, S. L., Hellermann, J., & Jakonen, T. (2021). Rewilding Language Education : Emergent assemblages and entangled actions. The Modern Language Journal, 105(S1), 106‑125. https://doi.org/10.1111/modl.12687 

Thorne, S. L., Sauro, S., & Smith, B. (2015). Technologies, identities, and expressive activity. Annual Review of Applied Linguistics, 35, 215‑233.

Toffoli, D., & Sockett, G. (2010). How non-specialist students of English practice informal learning using web 2.0 tools. ASp. La Revue Du GERAS, 58, 125‑144. https://doi.org/10.4000/asp.1851 

Vazquez-Calvo, B., Tian Zhang, L., Pascual, M., & Cassany, D. (2019). Fan translation of games, anime, and fanfiction. Language Learning and Technology, 23(1), 49‑71. https://www.lltjournal.org/item/3096 

Warschauer, M. (1996). Preface. In M. Warschauer (Éd.), Telecollaboration in foreign language learning : Proceedings of the Hawaii Symposium (p. ix). Second Language Teaching and Curriculum Center, University of Hawaii at Manoa ; Distributed by University of Hawaii Press.

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